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Fachtag nimmt Engagement im hohen Alter in den Blick

Nachricht 11. Oktober 2022

„Mit 80 ist noch lange nicht Schluß“ – unter diesem Titel fand am 6. Oktober ein digitaler Fachtag statt, der von der „Fachkonferenz für die Arbeit mit Älteren in den norddeutschen evangelischen Landeskirchen“ konzipiert und umgesetzt wurde. Knapp 70 Teilnehmende aus ganz Deutschland nahmen an der Veranstaltung teil. Mit Vorträgen von Oberkirchinrätin Petra Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover, Dr. Stefanie Wiloth vom Gerontologischen Institut in Heidelberg und Professorin Dr. Annelie Keil aus Bremen wurde das Themenfeld „Engagement im hohen Alter“ aus verschiedenen Perspektiven in den Blick genommen.

Eigens für die Veranstaltung hatte Ahrens eine Sonderauswertung des neuesten Freiwilligensurveys vorgenommen und berichtete von spannenden Daten, die Einblick in die Welt der Engagierten ab 80 Jahren offenbarten. Aktuell engagieren sich 21 Prozent der Menschen über 80 – Tendenz steigend. Ahrens schlussfolgerte, dass „wir gerade in der Kirche eine stärkere Aufmerksamkeit auf diese Generation brauchen“. Zu den Motiven für das Engagement im hohen Alter gehörten vor allem „Gemeinschaft“und „Wertschätzung“. Ahrens stellte heraus, dass es für ein Engagement von Menschen ab 80 Jahren klare Ansprechstellen geben muss, die über Engagementmöglichkeiten informieren. Auch konnten die Daten belegen, dass neben physischen Zugangsbarrieren vor allem Altersgrenzen ein Engagement verhinderten.

Wiloth hob in ihrem Vortrag hervor, dass „ältere Menschen eine unglaubliche Fähigkeit besitzen, mit Stressoren und Verlusten eigenständig gut umzugehen, obwohl sie aufgrund des Alters durchaus anfällig für Stressoren sind“. Ältere hätten zudem veränderte Lebensziele dahingehend, dass sie sich verstärkt für die Gestaltung der Welt statt ihrer eigenen Person einsetzen würden. Sie plädierte dafür, Rahmenbedingungen für ein Engagement zu schaffen, wo gegenseitiges Füreinander-Dasein möglich ist, aber „bitte immer zunächst einmal respektvoll miteinander zu reden und den Älteren zuzuhören, bevor man tätig wird“.

Der Begriff „Ehrenamt“ wurde von Professorin Keil kritisch beleuchtet. Unter anderem wollen ihr zufolge viele Ältere kein Ehrenamt, sondern einfach weiter arbeiten, Leben gestalten, sich gegenseitig Aufmerksamkeit schenken, „denn einem jeden ist Sozialität angeboren“. Sie schlug vor, eher von einem „Nebenamt“ zu sprechen wie es Albert Schweizer getan hat: „Schafft euch ein Nebenamt, ... ein unscheinbares, vielleicht ein geheimes Nebenamt. Tut die Augen auf und sucht, wo ein Mensch oder ein gutes Werk ein bisschen Zeit, ein bisschen Teilnahme, ein bisschen Gesellschaft, ein bisschen Arbeit eines Menschen braucht.“

„Was soll ich mit meinem Wissen machen, das ich mir erworben habe?“

Darüber hinaus haben vier Ehrenamtliche im Alter zwischen 71 und 83 Jahren davon erzählt, was ihnen persönlich ihr Engagement bedeutet.

Monika Bauer (83) berichtete als erste der vier Ehrenamtlichen von ihrer Sicht auf das Engagement im Alter. Sie beschrieb, dass es ihr durchaus Mühe bereitet und in ihr Widerstände erzeugt, das, was sie für andere tut, als „Engagement“ zu bezeichnen. Für sie sind es eher „Liebesdienste“ oder „Freundschaftsdienste“. Sie lebt nach der Überzeugung, dass Engagement bis zum Lebensende möglich ist: „Man kann auch noch von seinem Bett zum Bett eines anderen gehen.“

Dr. Georg Weckbach (80) erzählte, dass es für ihn ein schönes Gefühl ist, sich zu engagieren. Dies tut er in verschiedenen sportbezogenen und seniorenpolitischen Gremien schon seit vielen Jahrzehnten. Er persönlich fände es empörend, wenn Menschen für ein Amt als „zu alt“ eingestuft werden und hob hervor, dass die Eignung und nicht das Alter eine Maßgabe für ein Engagement sein sollte. Er sähe keine Berechtigung dafür, dass in einem bestimmten Alter Schluss sein soll. Ein Punkt, der seiner Erfahrung nach viel mehr Feingefühl und Aufmerksamkeit benötigt, ist die Würdigung von Engagement.

Rina Meinhold (83) berichtete von ihren Anfängen und wie sie nach der Pflege ihrer eigenen Mutter zu ihrem Engagement im Besuchsdienst kam: „Was soll ich mit meinem Wissen machen, das ich mir erworben habe?“ Sie erzählte von ihren Fragen und Zweifeln, die sie anfangs hatte, aber auch von den dann folgenden unglaublich bereichernden Erfahrungen, vom Kontakt und Austausch, von der Dankbarkeit. Sie braucht keine Ehrungen für ihr Engagement, der Kontakt sei ihr viel mehr Wert.

Bernd Rose (71) ist seit 40 Jahren im Naturschutz aktiv und auch wenn er selbst keine Bäume mehr einpflanzen kann, so gibt es doch viele Möglichkeiten sich einzubringen und etwas zu bewegen. Und das treibe ihn an: Er möchte der Natur helfen, er freut sich an dem, was er geschafft hat und erfährt eine innere Zufriedenheit, wenn er die Veränderungen beobachten kann, die sein Engagement und Tun bewirken. Er plant sich solange weiter zu engagieren, wie es ihm gesundheitlich möglich ist und fragt offen: „Warum soll ich mit etwas aufhören, das doch einfach Spaß macht?“ Sein Wunsch wäre, Engagement unabhängig vom Alter für alle Menschen zu stärken.

Im Anschluss an diese Beiträge haben sich die Teilnehmenden in kleinen Gruppen und im Plenum augetauscht und diskutiert. Immer wieder wurde die Frage laut, wer eigentlich zu den Menschen geht, die geistig fit sind und dennoch im Heim oder in der Wohnung relativ isoliert leben, und sie nach ihren Kompetenzen und Wünschen nach Partizipation fragt. Auch eine stärkere Vernetzung von Kirchengemeinden und weltlichen Institutionen hinsichtlich transparenter Möglichkeiten von Engagement wurde gefordert.

Am Ende des Fachtags stand das gemeinsame Verständnis und der Appell, sich nicht an den „Defiziten“ des Alters, sondern an den Qualitäten, Kompetenzen und Ressourcen älterer und auch hochaltriger Menschen zu orientieren. Denn „wir sind Leben, was leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

Dr. Dagmar Henze, Nele Tanschus, Petra Müller und Sigrid Tempel/„Fachkonferenz für die Arbeit mit Älteren in den norddeutschen evangelischen Landeskirchen“