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Quelle: HkD

Eine zweite Chance – kann man hier noch helfen oder kann das weg?

Nachricht 11. Februar 2021

In den meisten Familien galt bis vor wenigen Jahrzehnten „Reparieren statt wegwerfen“ noch ganz selbstverständlich zum Alltag dazu. Meist gab es nur begrenzten Zugang zu neuen Alltagsgegenständen und oft wurden diese von mehreren Mitgliedern der Familien geteilt. Ging ein solcher Gegenstand mal kaputt, wurde er in der kleinen Werkstatt oder Garage, die es in fast allen Haushalten gab, repariert. Grundlegende Fertigkeiten wie Löten, Leimen, Stopfen und Co. wurden von den Großeltern und Eltern an die Kinder weitergegeben.

Viel ist davon in unserer modernen Wegwerfgesellschaft nicht mehr übriggeblieben. Neue Produkte zu kaufen, statt den kaputten Gegenstand zu reparieren, ist oft billiger und lässt sich schnell und per Mouse Klick online erledigen. Dabei lohnt es sich gleich mehrfach, defekten Gegenständen eine zweite Chance zu geben!

Was können wir dem Trend der Wegwerf-Gesellschaft und der damit verbunden Wertstoff- und Ressourcenvernichtung entgegenstellen? Dieser Frage sind wir im Interview mit Gerhard Sardemann, Mit-Initiator der „Zukunft leben“ Nachbarschaftsgruppe in Diemarden und Mitbegründer der „Heilemacher & KoKaG“ nachgegangen.

Interview mit Herrn Sardemann, Heilemacher & KoKaG

Herr Sardemann, beim Namen „Heilemacher & KoKaG“ - muss ich spontan an eine Truppe Männer in Blaumännern und mit einem Werkzeugkasten in der Hand denken, die eine Art Handwerker-Superhelden sind – wer oder was steht hinter der Heilmacher & KoKaG und wie kam es zu diesem Namen?
Superhelden trifft es doch ganz gut (grinst!). Denn man muss schon ganz schön mutig sein, heutzutage Dinge reparieren zu wollen - „mainstream“ ist das jedenfalls nicht. Wir tun es trotzdem! Alle, die sich uns hier im Dorf angeschlossen haben, sind überzeugt von dem (eigentlich nicht wirklich neuen) Gedanken, dass man nicht immerzu alles neu kaufen muss. Der Name ist, wie sich das auf dem Dorf gehört, bei einem Feierabendbier entstanden – was wünschen sich Kinder, wenn Spielzeug kaputt ist: „Papa - mach‘ heile!“ Und der Zusatz KoKaG steht für Kreativ, offen, Konstuktiv, aktiv und Gemeinsam. Man achte besonders auf die Groß- und Kleinschreibung…Reparieren geht ja auch nicht in jedem Fall, deshalb stehen auf unseren Plakaten immer auch Wörter wie „Helfen“, „Beraten“, „Anleiten“ und sogar „Trösten“.

„Papa - mach‘ heile!“ Wenn es um das Thema reparieren geht, denkt unsere Gesellschaft noch oft in typischen Geschlechter-Klischees. Der Mann im Haus repariert die Dinge. Gibt es auch bereits Heilemacherinnen, die in ihrer Gruppe mitmachen?
Leider nein, auf weibliche Anfragen warten wir bislang noch – wir sind tatsächlich bislang als Gruppe von Männern unterwegs. Aber warum sollte eine Frau nicht auch reparieren können? Schließlich gibt es in fast allen (technischen) Berufen inzwischen auch Frauen.

Als Reparatur-Initative „Heilemacher & KoKaG“ unterscheiden Sie sich von einem klassischen Repaircafé. Was machen Sie anders?
Wir arbeiten eben nicht in einem großen Raum alle gemeinsam. Fast jeder von uns hat zu Hause die oben zitierte kleine „Werkstatt“, wo er seine Arbeiten ausführt. Die Einrichtung eines richtigen Repaircafes hätte zwar Charme, wäre aber auch aufwendig – die kleinen Werkstätten sind ja da und die Wege sind kurz. Wir können mit unserem Konzept also auch „Gewerke übergreifend“ gut zusammenarbeiten, wenn es mal erforderlich ist. Das hat sich auch jetzt in der Pandemie als durchaus vorteilhaft erwiesen, weil Treffen in größeren Gruppen ja nicht möglich sind.

Warum kommen Menschen zu Ihnen, um Dinge reparieren zu lassen, was sind ihre Motive?
Das ist leicht zu beantworten: Die Dinge sind kaputtgegangen. Manches ist Verschleiß, manches ist leider auch vom Hersteller gewollt – damit eben Neues gekauft wird. Dass die Menschen zu uns kommen, zeigt, dass der Gedanke „Reparieren statt wegwerfen“ nicht uns allein überzeugt. Und ja, manchmal ist es sicher auch eine Frage der Kosten.

Stichwort Kosten, wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Hier gilt: Wir schauen uns das defekte Ding zunächst mal genau an. Wenn sich dabei herausstellt, dass Ersatzteile gebraucht werden, dann wird der Besitzer informiert - und klar: diese Kosten können wir nicht tragen! Derjenige, dem das Teil gehört, muss dafür dann auch bezahlen. Er fällt damit auch gleichzeitig die Entscheidung, ob überhaupt repariert wird. Unsere Arbeit ist ehrenamtlich, das heißt, es entstehen keine Lohnkosten. Wir freuen uns natürlich, wenn z.B. beim nächsten Gebrauch einer reparierten Küchenmaschine ein paar leckere Kekse für uns abfallen. Das verbindet doch! Und ich finde es auch Ok, wenn jemand nach erfolgreicher Reparatur ein paar Münzen in unsere Kaffeekasse wirft für Kleinteile, die beim Reparieren immer benötigt werden. Wichtig: ich spreche hier immer von Kleinreparaturen – wir wollen unseren hiesigen Handwerksfirmen keinesfalls die Arbeit wegnehmen!

Warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht Dinge zu reparieren, wenn es uns so einfach gemacht wird Neues zu kaufen und es oft sogar günstiger ist?
Weil das ständige Neukaufen und Wegwerfen eine große Ressourcenverschwendung ist und unseren Planeten ganz einfach überfordert. Und die „Bewahrung der Schöpfung“ ist nach meinem Verständnis Aufgabe eines jeden Menschen. Daher lohnt sich bei Anschaffung neuer Sachen immer auch der Blick auf ihre „Reparierbarkeit“. Und dieser Gedanke wird ja inzwischen sogar schon in der großen Politik diskutiert: Hersteller sollen Dinge so erzeugen, dass man sie wieder besser reparieren kann. Es wäre m.E. ein guter Weg, wenn sich das dann tatsächlich in Gesetzestexten widerspiegelte.

Das heißt, wenn wir Dingen eine zweite Chance geben, können wir damit auch unseren Planeten bewahren. Also schrauben, löten und leimen Sie und retten gleichzeitig ein bisschen die Welt. Macht reparieren auch glücklich?
Gegenfrage: wie fühlt sich ein Arzt, wenn der Patient wieder fit ist? Klar, dass macht glücklich!

Können Sie uns von persönlichen Reparatur Erfolgserlebnissen berichten?
Wir hatten schon so viele: HiFi-Verstärker, die nicht mehr so richtig wollten, Fahrräder mit defekten Beleuchtungsanlagen oder Bremsen, Küchenmaschinen, Computer, Strahler, Leuchten oder Heizgeräte. Es konnte schon vielen Menschen geholfen werden.

Kann ich als Ratsuchende*r bei den Heilmachern & KoKaG etwas lernen und macht reparieren schlau?
Selbermachen macht jede(n) immer wieder auch „schlauer“ („learning by doing“). Auch, wenn es mal nicht geklappt hat. Unser Motto ist da: wir schauen es uns mal an. Manchmal sind es ja nur Kleinigkeiten (z.B. ein abgebrochener Draht in einer Küchenmaschine nach 24 Jahren Betrieb). Der Fehler ist schnell behoben, aber klar: die Maschine ist danach nicht neuer als vorher. Es kann sein, dass da mal wieder etwas kaputtgeht. Und um auf Ihre Frage zurückzukommen:Iich persönlich freue mich immer sehr, wenn ich einem Menschen die eine oder andere Fertigkeit oder Kenntnis vermitteln darf. Aber das muss jeder „Heilemacher“ für sich entscheiden.

Und was oder wer hilft dem Heilemacher*in wenn er/sie nicht mehr weiter weiß?
Wir sind ja inzwischen schon eine zwölf Aktive - und telefonieren hilft. Oder mal ein Detailfoto vom „Problem“ per E-Mail oder „Messenger“ an die anderen schicken. Das Internet ist an der Stelle wirklich ein Segen.

Unsere letzte Frage: Wie sieht die Zukunft von Initiativen wie die der Heilemacher aus? Werden Sie zukünftig noch eine Rolle spielen, wenn es darum geht, Dinge zu erhalten?
Wie schon gesagt: das Problem wird ja gerade erst in der (europäischen) Politik diskutiert. Wenn wirklich Konsequenzen (Gesetze) aus diesen Überlegungen folgen, dann bin ich sicher, dass da noch viel mehr gehen wird. Bis dahin werden wir aber nicht müde werden, alles zu reparieren, was uns möglich und sinnvoll erscheint. Schon allein, weil man auf diese Weise mit Menschen ins Gespräch kommt - das ist doch ein fantastischer Nebeneffekt!

 

Profil: Gerhard Sardemann
Kirchenvorstand der Kirchengemeinde Diemarden , Mitinitiator der Nachbarschaftsgruppe „Zukunft leben“ in Diemarden und der „Heilemacher & KoKaG“

Beruf: Dipl. Ing. - Schwerpunkt Elektrotechnik

Wenn ich Zeit habe, mache ich am liebsten:
Lesen, Musik hören, Chorsingen, Radfahren, Wandern …Essen. Es gibt so viel Schönes!

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