#ichbinarmutsbetroffen
Unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen wehren sich arme Menschen gegen Vorurteile. Sie erzählen ihre ganz persönlichen Geschichten. Sie sagen nicht, ich bin arm, sondern ich bin von Armut betroffen. Armut in verschiedenen Konstellationen kann wirklich jeden treffen. Sie, mich, jede/jeden. Ein Schicksalsschlag, und das Leben ist nicht mehr das, was es vorher war. Die vielen geschilderten Lebenswirklichkeiten zeigen, wie schwer es ist, mit Hartz IV, Niedriglöhnen, Aufstockung oder einer geringen Rente ein würdevolles Leben zu führen.
Wer arm ist, ist immer selbst schuld?
Über 13 Millionen Menschen leben in Deutschland in Armut, rund 16 % - ein Höchststand. 1995 waren es lediglich 3,1 %. Armut errechnet sich statistisch in Deutschland durch einen Prozentsatz des Medianeinkommens. Das Medianeinkommen (auch mittleres Einkommen) ist das Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Dabei werden die Armutsrisikogrenze und die Armutsgrenze unterschieden. Wer 60 % des Medianeinkommens zur Verfügung hat, ist von Armut bedroht. Bei 50 % ist man offiziell arm. Im Jahr 2020 galt ein(e) Alleinlebende(r) mit monatlichem Nettoeinkommen von 1.126 € als armutsbedroht, für zwei Erwachsene und zwei Kinder unter 14 Jahren ergab sich ein Schwellenwert von 2.364 € netto. Veröffentlicht von Statista Research Department, 24.01.2022. Bei uns in Celle erhält eine alleinstehende Person, die von Grundsicherung (Hartz IV) lebt ca. 900 € für Lebensunterhalt, Bruttokaltmiete und Heizkosten.
Armut gezielt bekämpfen
Jede Statistik hat ihre Tücken: Armut wird in Deutschland durch nur ein Kriterium gemessen - dem bundesweiten mittleren Einkommen. Zielführender wäre es, das eigene Bundesland oder die eigene Region in den Blick zu nehmen, Armut auch in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Mobilität vor Ort zu erfassen. Forscherinnen wie Nicole Rippin, Ökonomin und ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsprogramms "Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme" beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) haben auf dieser Grundlage speziell für Deutschland angepasste Messinstrumente für Armut, sogenannte Multidimensionale Indizes, entwickelt. Dahinter steht die Auffassung, dass Menschen dann arm sind, wenn sie ihre Fähigkeiten nicht entfalten können aus Gründen, die sie nicht selbst zu vertreten haben. Liebe Politik, bitte anwenden!
Von Armut Betroffene haben aus meiner Sicht viel zu lange ihre Scham über die eigene Situation verinnerlicht und gegen sich selbst eingesetzt. Armut wird zu oft leichtfertig als individuelles Versagen beschrieben. Das muss sich ändern. Es ist gut, dass Betroffene sich endlich selbst deutlich zu Wort melden und sagen, mit mir, nicht über mich. Danke.