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„Es gibt keinen rassismusfreien Raum“

Pressemitteilung 24. Februar 2023

Kreisjugendwart*innen der Landeskirche diskutierten zum Thema „Rassismuskritische Jugendarbeit“

Gerade in der Kirche hat Rassismus keinen Platz, sollte man meinen. Doch manchmal äußern und verhalten sich Menschen rassistisch, ohne es zu wollen und zu bemerken. Diese und weitere wichtige Erkenntnisse haben jetzt Verantwortliche für die Jugendarbeit der Landeskirche Hannovers bei ihrer jährlichen Landesfachkonferenz gewonnen. Zwei Tage lang diskutierten Kreisjugendwart*innen im Evangelischen Jugendhof Sachsenhain in Verden zum Thema „Rassismuskritische Jugendarbeit“.

Referent war der Wiesmoorer Pastor Quinton Ceasar, der aus Südafrika stammt und als Person of Color auch sehr persönliche Erfahrungen einbrachte. So habe er vor einigen Jahren in Berlin lieber seine Partnerin mit der Wohnungssuche beauftragt, weil er mit seinem Namen und Akzent keine Chance gehabt hätte. „Es gibt keinen rassismusfreien Raum, auch nicht in der Kirche“, sagte Ceasar. „Es kommt darauf an, wie wir als Gesellschaft, als Kirche und als Jugendarbeiter*innen mit diesem Thema umgehen.“

Fragen wie „Woher kommst du eigentlich wirklich?“ seien vielleicht freundlich gemeint, dahinter verberge sich aber ein Alltagsrassismus. Auch den in bester Absicht geäußerten Satz „Ich kenne keine Hautfarbe, ich kenne nur Menschen“ ließ Ceasar nicht gelten, denn er negiere die Erfahrungen von BIPoC (Black, Indigenous and People of Color). Die Reflexion des eigenen Weißseins, Sprechens und Handelns sei wichtig und der erste Schritt zur Veränderung.

Gemeinsam kamen die hauptberuflichen Jugendarbeiter*innen Rassismen in Kirche und Jugendarbeit, aber auch in ihnen selbst auf die Spur. Bei einer Nachfrage wurde das deutlich: Wie könne es gelingen, internationale Gemeinden und „typisch lutherische“ Gemeinden besser miteinander zu verbinden? Der Gottesdienst in den internationalen Gemeinden sei so viel lebhafter, der lutherische so viel nüchterner. Quinton Ceasar antwortete lapidar, er sei in Südafrika streng reformiert aufgewachsen, „mit stinklangweiligen Gottesdiensten“.

„An diesem Beispiel wird deutlich, dass aufgrund von Hautfarbe und Herkunft Zuschreibungen gemacht werden, die oft genug eben nicht zutreffen“, sagt Landesjugendwart Markus Steuer, der im Landesjugendpfarramt in Hannover für die Organisation der Fachkonferenz zuständig ist. „Wir sind eine sehr weiße Kirche und haben eine weiß-zentrierte Sichtweise. Das betrifft nicht nur die Jugendarbeit“, so der Diakon.

Um hier offener und sensibler zu werden, habe man das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. In manchen Regionen wie etwa dem Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt werde für Ehrenamtliche, die ihre Jugendleiter*in-Card verlängern möchten, ein Aufbaukurs zum Thema Antirassismus angeboten. „Die Auseinandersetzung damit hat begonnen und nimmt Fahrt auf, unsere Tagung soll diese Bewegung unterstützen und auch denen Mut machen, die sich bislang noch nicht an dieses Thema herangetraut haben“, sagt Markus Steuer.

Ziel sei es, Rassismen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen „zu erkennen, zu benennen und zu dekonstruieren“ (Tupoka Ogette), so dass sicherere Räume, „safer spaces“, für BIPoC in der Evangelischen Jugend überhaupt möglich gemacht werden können. Dies sei eine große Aufgabe, betonte Referent Quinton Ceasar. „Es ist ein Marathon und kein Sprint, denn wir müssen aktiv gegen ein Machtsystem vorgehen, das über Jahrhunderte aufgebaut wurde und das wir mit der Muttermilch aufgesogen haben – und jede*r von uns muss bei sich selbst anfangen.“ Die Teilnehmenden der Tagung waren sich am Ende einig: Sie wollen starten.

Ansprechpartner

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Markus Steuer

Landesjugendwart
Diakon