Die „Anonymen Insolvenzler“ bieten Hilfe für Unternehmer in Not

Rund 15.000 bis 20.000 Unternehmen gehen in Deutschland jedes Jahr in die Insolvenz und sind zahlungsunfähig. Die Unternehmer empfinden das fast immer als persönliche Katastrophe. Rat und Unterstützung finden sie bei den "Anonymen Insolvenzlern".
Als es nicht mehr ging, ließ Petra Koch die Tür zu ihrem „Bagel's Café“ einfach zu und hängte ein Schild ins Fenster: „Geschlossen. Das Bagel's und ich haben sich getrennt.“ Gern hätte sie sich noch von ihren Kunden verabschiedet. „Doch für einen langen Abschied fehlt die Kraft“, schrieb sie. Koch (55), eine fröhliche Frau mit langen blonden Locken, war nach 13 Jahren als Gastronomin zahlungsunfähig. Wenig später beantragte sie Insolvenz. „Und dann kam das große schwarze Loch“, erinnert sie sich heute an jenen Tag vor acht Jahren. Dass sie aus dem schwarzen Loch wieder herausfand, verdankt sie auch einer Organisation, in der sie heute selbst ehrenamtlich engagiert ist: den „Anonymen Insolvenzlern“.
Die Gruppe wurde 2007 von dem Sozialunternehmer und einstigen Eventmanager Attila von Unruh (60) aus Köln gegründet, der selbst eine Insolvenz durchlebt hatte. Den Namen wählte er in Anlehnung an Gruppen wie die „Anonymen Alkoholiker“: „Weil Insolvenz immer noch als Makel gilt“, erzählt von Unruh: „Unsere Gesellschaft definiert sich über Erfolg, Geld, Status. Doch wenn jemand pleite geht, gehört er ein Stück weit nicht mehr dazu.“ Bei den „Anonymen Insolvenzlern“ geht es deshalb streng vertraulich zu. In den Gesprächskreisen, während der Pandemie vielfach auch online, muss niemand seinen vollen Namen sagen. „Das schafft erstmal Sicherheit.“ Und nichts darf nach draußen dringen. „Das ist ein geschützter Raum.“
Was vor 14 Jahren als Selbsthilfegruppe begann, wuchs zu einer bundesweiten Organisation. Obwohl die Wirtschaft brummte, fanden immer mehr Selbstständige oder Unternehmer den Weg zu den „Anonymen Insolvenzlern“: Einzelhändler, die dem Konkurrenzdruck aus dem Internet nicht standhielten. Oder Handwerker, die auf unbezahlten Rechnungen sitzen blieben. Sie alle sind oder waren von den jährlich rund 20.000 Firmenpleiten betroffen oder bedroht - so wie Petra Koch.
Rund 25.000 Menschen habe die Organisation mit ihren kostenlosen Angeboten bisher helfen können, sagt von Unruh. Die Coronakrise hat die Resonanz trotz staatlicher Hilfen noch verstärkt. „Wir merken eine Zunahme bei den Anfragen. Bei vielen zeichnet sich ab, dass sie die Kurve nicht kriegen werden.“ In 14 Städten gibt es inzwischen Ortsgruppen.
In der City von Osnabrück hatte Petra Koch mit 35 Jahren voller Schwung ihren neuen Betrieb eröffnet. Ihr „Bagel's-Café“ mit seinem lauschigen Innenhof-Garten war proppenvoll, ein Treffpunkt für Schüler und Studenten und für stillende Mütter, die hier ihren Cappuccino schlürften. „Mein Café war mein Wohnzimmer.“ Mehrfach wurde das „Bagel's“ ausgezeichnet, Presse und Rundfunk berichteten. Doch zugleich kamen dunkle Wolken. Die Personalkosten stiegen, neue Kredite mussten her. Ein neuer Vermieter kam, die Kosten liefen aus dem Ruder.