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Gartenarbeit statt Seniorenkreis

Nachricht 30. September 2020

Ältere Kirchenmitglieder wünschen sich mehr Spielraum für eigene Projekte

Als „Silverager“ sind Menschen jenseits der Erwerbsarbeit eine beliebte Zielgruppe in der Werbung. Doch in den Kirchengemeinden fehlt es dieser Generation immer noch an attraktiven Angeboten. Hat die Kirche eine Entwicklung verschlafen?

Schon die Bezeichnung macht deutlich, dass diese Generation schwer zu fassen ist. Heißen sie Senioren? „Silverager“? Oder sollte man von „Menschen jenseits der Erwerbsarbeit“ sprechen? Gemeint ist die Gruppe der Über-65-Jährigen, größtenteils aktive Menschen, deren Lebensumstände ebenso vielfältig sind wie ihre Interessen und Bedürfnisse. „Das ist wie ein Filmtrailer“, sagt Pastorin Inken Richter-Rethwisch. „Das reicht von der Zeit für die Enkel, über Reisen bis hin zu neuen späten Berufungen und Aufbrüchen in völlig neue Lebenssituationen.“

Vielfalt als Herausforderung

Und trotzdem soll diese Generation ein Zuhause in der Kirche finden, einen Ort, an dem sie sich engagieren kann, gestalten und mitreden. „Die Diversität stellt uns vor enorme Herausforderungen in den Gemeinden“, sagt Richter-Rethwisch. „Der Seniorenkreis ist jedenfalls keine Antwort mehr. Gemeinden müssen viel passgenauer nach der Altersstruktur in ihrem Gebiet gucken und den Sozialraum im Blick haben, in dem sie unterwegs sind.“

Seit zwei Jahren betreuen Richter-Rethwisch und mit ihr Pastorin Dagmar Henze das Projekt „Alternde Gesellschaft und Gemeindepraxis“ der Landeskirche Hannovers. Die beiden Theologinnen sollen herausfinden, welche Bedürfnisse und Interessen diese Altersgruppe der aktiven Senioren hat. Und sie sollen Gemeinden dabei unterstützen, entsprechende Angebote zu machen.

Alternde Gesellschaft ist zentrales Thema

Für die Kirche ist die alternde Gesellschaft ein zentrales Thema. Doch bisher sei es kaum fokussiert betrachtet worden, sagt Henze. „Menschen zwischen 60 und 80 fühlen sich noch nicht alt. Sie wollen eigene Kompetenzen einbringen und wünschen sich mehr Gestaltungsraum“, sagt Richter Rethwisch. Der Anspruch an die Gemeinden sei daher ungleich höher als früher. „Man wird nie alle auf einen Streich kriegen.“

Wie zufrieden ältere Menschen mit den Angeboten ihrer Kirchengemeinde sind, ist bisher nicht systematisch untersucht worden. „Es gibt keine Studie“, sagt Henze. Es sei jedoch deutlich, dass die Arbeit mit Senioren heutzutage kein Selbstläufer mehr sei. Richter-Rethwisch: „Wir müssen uns viel mehr anstrengen. Denn wenn sie nicht das kriegen, was sie sich wünschen, dann sind sie weg. Es gibt meistens genügend Alternativen.“

Mit den Menschen vor Ort entdecken, was Kirche leisten kann

Beide Theologinnen ziehen eine bittere Zwischenbilanz: „Wir hinken hinterher. Anders als die Werbung hat die Kirche das Alter zu spät entdeckt“, bilanziert Richter-Rethwisch. Auf die Frage, ob Kirche denn genug für Senioren mache, antwortet auch Henze unumwunden mit „Nein“. „Die Kirche muss sich neu aufstellen, mit den Menschen vor Ort zusammen entdecken, was sie leisten kann“, sagt Henze. Und ja: Die Kirche habe die Jugend als Zukunftsthema entdeckt, aber dabei die Senioren aus dem Blick verloren.

Natürlich gebe es positive Beispiele: Gemeinden, die rollstuhlgerecht sind, in denen sich ältere Menschen wertgeschätzt fühlen, weil sie spüren, dass sie wahrgenommen werden. „Jede Gemeinde geht ihren Weg. Wir haben nicht die Erwartung, dass alle Gemeinden alles machen können“, sagt Henze.

Gutes Beispiel: "Netzwerk für gegenseitige Hilfe"

Es gibt gute Beispiele. Wie Senioren besser eingebunden werden können, zeigt zum Beispiel das „Netzwerk für gegenseitige Hilfe“. Seit 2007 verbindet es die Einwohner in Großenwieden, Kleinenwieden und Kohlenstädt und ermöglicht so eine ungewöhnliche Dichte an Angeboten für Kinder und Senioren. In der Kirchengemeinde mit nur rund 500 Mitgliedern gebe es drei wöchentliche Veranstaltungen für Senioren und drei wöchentliche Angebote für Kinder, erzählt der Pastor Justus Conring. Spenden ermöglichen sogar die Anstellung einer „Gemeindeschwester“ als eine Art Dorf-Begleiterin für alle Problemlagen.

Eine Ausnahme-Gemeinden im Weserbergland sehen Henze und Richter-Rethwisch als Vorbild für andere Gemeinden. Andernorts müssten sie allerdings vielfach dafür werben, dass die Arbeit mit Senioren überhaupt eine attraktive Angelegenheit sei.

Erfolgversprechend sei der integrative Blick auf Kinder und Senioren, zum Beispiel in Kochgruppen, bei der Gartenarbeit, in Mehrgenerationencafés. Wo Kirche agiere, wie eine Agentur, da sehen beide Pastorinnen besonders „große Chancen“. Pastorin Henze: „Kirche ist gut beraten, einen Ermöglichungsraum für diese Altersgruppe zu schaffen.“ Entsprechende Arbeitsstellen für innovative Seniorenarbeit auf Kirchenkreisebene seien jedoch rar gesät. „Das könnten wir schneller vorantreiben“, sagt auch Richter-Rethwisch.

Sven Kriszio / Evangelische Zeitung

Tag der älteren Generation

Am 1. Oktober findet in der Marktkirche Hannover der „Tag der älteren Generation“ statt. Franz Müntefering, ehemaliger Bundesminister und derzeit Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, spricht ab 16 Uhr über das Thema „Ohne Moos nichts los. Gut leben im Alter“.

Um eine Anmeldung bei der Evangelischen Erwachsenenbildung unter Telefon 0511/1241663 oder per Mail an eeb.hannover@evlka.de wird gebeten.