Foto: HkD

Kunstwerk des Monats: „Wachstum“ von Henning Diers im Mausoleum Eystrup

Nachricht 08. Juni 2020

Auf den Innenwänden des achteckigen Turms im Mausoleum des Eystruper Friedhofs ist mit Wachs nach unten gemalt worden. Bis in die Zwickel der Bögen, die auf vier Säulen ruhen. Weiß ist das Wachs, nicht zu unterscheiden von der Wandfarbe, ganz oben bei den Fenstern, und dann bekommt es immer mehr Farbe und Wärme. Hell gelb. Goldgelb. Über den Säulen wird es orange. Das zieht sich weiter am Bogen über der Eingangstür. Der auch mit Wachs bemalt ist.

Ostern 2020 startete der Künstler Henning Diers mit dem Projekt „Wachstum“. Er hat sich vorgenommen, Licht darzustellen, Hoffnungslicht, Osterlicht, das sich von oben in den kühlen Raum ergießt. Kühl und klamm vom Hauch des Todes: Der Aufbahrungsraum im Mausoleum auf dem Eystruper Friedhof. Der historistische Bau aus gelbem Klinker in Form eines griechischen Kreuzes dient als Friedhofskapelle und Aufbahrungsstätte. Über der Vierung erhebt sich ein achteckiger Turm. Oben im Turm lassen sechzehn kleine Rundbogenfenster das Licht in den weißgestrichenen Raum. Den Einfall des Lichts in den von Dunkel geprägten Raum will der Künstler aus Wachs darstellen.

Wachs ist ein besonderes Material. Es nimmt in sich auf, was man ihm einprägt, aber auch Gerüche. Und an dieser Stelle symbolisch weitergedacht dann Gefühle, Erinnerungen, Tränen, Trauer, Beklemmung, Geschichten, Abschiede.

Ganz real hat es auch Zettel aufgenommen: Gebete, eingeworfen im Gebetsbriefkasten vor der Tür. In diesen Wochen ohne öffentliche Fürbitte konnten so auch die Namen der Verstorbenen und das Denken an die Trauernden Teil eines gestalteten Gebetes werden.

Eingegangen. Aufgenommen. Geborgen. Anverwandelt dem Hoffnungslicht.
Hoffnungslicht, das in den Raum strahlt, wurde gegenständlich gemacht.
Man sagt, das sei die besondere Fähigkeit und Aufgabe von Kunst: sichtbar machen, was nicht sichtbar ist. Zum Beispiel Osterlicht zeigen, das in die Welt fließt.

Ostern ist zu Pfingsten 50 Tage her. In den 50 Tagen hat Henning Diers in 100 Arbeitsstunden 60 kg Wachs vermalt. Zum Teil gewonnen aus Kerzenresten, gespendet aus Haushalten. Alte Altarkerzen, Gedächtnislichter vom Ewigkeitssonntag und Handkerzen vom lebendigen Adventskalender. Aus Weiß, Gelb, Gold und Orange ist Pfingstrot geworden, da wo der Bogen über der Eingangstür den Boden trifft, da wo das Wachs unten angekommen ist. Warm ist es geworden mit den Farben. Immer wärmer.

Und die Farbflüsse im Turm erscheinen nun wie die Flammen über den Köpfen der Jünger, also dem Bild, dem Symbol, mit dem Lukas den Geist Gottes beschreibt, der zu Pfingsten die Jünger ergreift und neu bewegt.

Tanzende Wirbel wie Geistwesen kann man an den Wänden sehen. In bestimmter Perspektive hat jemand auch ein Herz entdeckt, obwohl der Künstler das und überhaupt Gegenständliches nicht malen wollte. Aber Liebe ist auch ein Name für den Heiligen Geist.

Der Geist hat keine fassbare Gestalt. Er ist dynamisch, bewegt im Wandel, voller Energie. Geist – Bewegung – Pfingsten sind wie Licht für sich auch nicht sichtbar. Sie sind aber auch etwas, was Kunst sichtbar machen kann.

Ostern startete das ganze Projekt mit Licht. Mit Hoffnung. Transzendenz, Auferstehung, nicht sichtbar, aber ahnbar gemacht mit Kunst. Von oben kommt es in den Raum, um auf- und anzunehmen, was von unten entgegenkommt: Gerüche, Gebete, Blicke. Eine Achse ist das Oben-Unten.

Das Licht fließt in den Raum, trifft auf Köpfe und Herzen und beginnt, als Flammen zu tanzen. Es verwirbelt wie Wasser an Steinen im Strom, die es zugleich bewegt. Die Perspektiven verschieben sich an Pfingsten. Das Auferstehungslicht, das seit Ostern in die Welt leuchtet, löst Dynamik in der Welt aus. Es setzt Menschen in Bewegung. Kirche wird.

Die Haltung verändert sich. Aus dem Blick nach oben wird ein geweiteter Horizont. Und da geht das Wachstum weiter: an der Tür mit dem Blick hinaus. Menschen geraten in diesem Licht in den Blick. Menschen, mit denen wir im Licht stehen. Mit denen wir mit hineingenommen sind in das Wachstum der Sache Gottes. Und auch Dunkles wird erkennbar durch den Schein des Lichtes. Beschattetes hat der Künstler im Gewölbe nachtblau konturiert. Den Perspektivwechsel von Pfingsten deutet eine zweite Achse an. Von der Altarwand blickt den Eintretenden eine salvator mundi-Adaption an, die Henning Diers während der Arbeit am Wachstum im Atelier gemalt hat. Auch sie ist mit Wachs überzogen, und in der Glaskugel, die der segnende Christus in der Hand hält, spiegeln sich die Oberlichter des Mausoleumsturms.

Um das Kreuz, das sonst dort hängt, herum hat Henning Diers einen leuchtend gelben Strahlenkranz gestaltet. Dynamisch platzt er in den Raum und drängt zur Tür, wo das Wachstum in die Welt will und sich die Welt anverwandelt. Mit Ockeranklang für die Erde und Blutrot für die Menschen.

Mit Wachs gemalt sind das Licht und der Geist. Wachs ist, noch deutlicher als andere Farben, Materie, die Licht nur darstellt. Diese Materialität repräsentiert die Welt, in der der Geist wirkt. Und doch gerade als Materie, als Material hat Wachs einen besonderen Glanz. Sein Leuchten versinnbildlicht geistbewegte, geistbelebte Materie. Gottes Kraft lässt Menschen leuchten. Schon Moses Gesicht glänzt nach der Begegnung mit Gott (2. Mose 34).

Das Pfingstwachstum will Menschen glänzen lassen.

Materiell ermöglicht wurde das Projekt „Wachstum“ durch die Kulturkirchenförderung der Hanns-Lilje-Stiftung.

Zu finden ist das Mausoleum auf dem Eystruper Friedhof (Kirchstraße 20. 27324 Eystrup ). Es ist sonntags von 15 – 17 Uhr zusammen mit der Kirche geöffnet.

Dr. Thies Jarecki, Pastor in Haßbergen und Eystrup

Kunstwerk des Monats

Aus der Rubrik „Kunstwerk der Woche“ wird „Kunstwerk des Monats“. Nach insgesamt neun Beiträgen während des Corona-bedingten Lockdowns stellt das Arbeitsfeld Kunst und Kultur zukünftig an jedem ersten Donnerstag im Monat ein „Kunstwerk des Monats“ vor. Dabei wechseln sich weiterhin die Genres, die Kunstlerinnen und Kunstler sowie die Autorinnen und Autoren ab, so dass ein lebendiges und inspirierendes Panoptikum von Kunst und Kultur in Kirche und Gesellschaft entsteht.

Zum Angebot „Kunstwerk des Monats“