
Auf der Seiser Alm, in 2000 Metern Höhe in Südtirol, steht die Franziskus-Kirche. 2008 wurde sie dort errichtet. Betritt man diese Kirche, fallen Spuren auf dem Boden ins Auge. Tierspuren, die in die Bodenfliesen hineingedrückt sind – ein bewusstes Gestaltungsmittel des Architekten.
Wolfsabdrücke findet man – denn Franz von Assisi zähmte nach der Überlieferung den Wolf von Gubbio.
Vogelspuren sind sichtbar – Franziskus predigte den Vögeln.
Und Hirschspuren. Anspielung auf den 42. Psalm:
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.
Was für ein eindrückliches Bild. Die Bodenspuren des Paarhufers sind eine Spur zu meiner inneren Sehnsucht.
So wie der Hirsch das lebendige Wasser sucht – und seine Spuren sind selbst noch im Altarraum zu finden – so suche ich das lebendige Wasser, den lebendigen Gott.
Manchmal ist mir diese Sehnsucht bewusst, es gibt aber Zeiten, da schlummert sie eher im Verborgenen. Für eine Ausbildung zur Kontemplationslehrerin musste ich eine „spirituelle Biographie“ schreiben: „Was“ und insbesondere auch „wer“ hat mich in meinem Leben – als Kind, als junge Frau, in meinem Beruf – geistlich geprägt und beeindruckt?
Da bekamen Menschen und Ereignisse eine Bedeutung, von denen ich das vorher nicht erwartet hätte.
Wann hat mich die Sehnsucht nach dem lebendigen Wasser wohin getrieben? Wo bin ich satt geworden und wo nicht? Was haben die Enttäuschungen, Verletzungen und Krankheiten in meinem Leben für geistliche Folgen gehabt?
Es ist schon ein Wunder zu sehen, wie viele Fäden in einem einzigen Leben verwoben sind …
Sind nicht diese Adventstage auch eine Zeit, in der wir nach innen gehen? Vielleicht hinterlässt unser innerer Weg hin zur Krippe in diesen Tagen auch Eindrücke in uns – vielleicht nicht so sichtbar wie die des Hirsches auf dem Boden der Kirche – aber doch spürbar in uns?
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser …
Oder: „Alles beginnt mit der Sehnsucht, immer ist im Herzen Raum für mehr ...“, wie Nelly Sachs in einem Gedicht sagt.
Es beschreibt die Sehnsucht des Menschen nach Schönerem und Größerem. Und, so schreibt sie dort: „wo die Sehnsucht sich erfüllt, da bricht sie noch stärker auf“.
Ihr Gedicht endet mit der weihnachtlichen Sehnsucht Gottes nach uns: „Fing nicht auch deine Menschwerdung, Gott, mit der Sehnsucht nach dem Menschen an?“
Clementine Haupt-Mertens