
Die Nachfrage steige weiter, berichten die Gästebetreuer. Ob Meditationskurs oder „Oasentage“ allein - die Angebote und die 32 Zimmer seien oft frühzeitig ausgebucht. Zusätzlich wurde im vergangenen Jahr eine Pilgerherberge mit 20 Plätzen eröffnet.
Der Frau im grünen Pullover sieht man die Seelenruhe von Weitem an: Gemächlich spaziert Ulrike Dünhölter vom Weserufer zum Klostergarten, bleibt an einer Mauer mit Ausblick minutenlang stehen, schlendert an einer Baumschaukel vorbei weiter zu einer Holzbank am Karpfenteich. Die 66-Jährige aus Bielefeld denkt darüber nach, dass „alles im Fluss“ und nichts im Leben unwandelbar ist. Das erzählt sie auf Nachfrage leise und freundlich, obwohl sie für eine Schweigewoche im Kloster ist und sich gerade mit einem Gedankenanstoß des Meditationslehrers beschäftigt.
Die Teilnehmerin der elf Frauen zählenden angeleiteten Schweigegruppe verbringt jedes Jahr ein paar Tage im Kloster, und ihre Geschichte ist hier nicht ungewöhnlich: Als ihre Kinder aus dem Haus sind, merkt Ulrike Dünhölter, dass ihre Arbeit als Geschäftsfrau „nicht alles gewesen“ sein soll. Sie sucht nach einer neuen sinnvollen Aufgabe, entscheidet sich für ein Ehrenamt im Hospiz - und nimmt sich regelmäßige Auszeiten.
In Bursfelde gibt es viele solcher Stammgäste. Manche, wie Ingrid Otto, lassen sich zwischendurch gern auch mal auf ein katholisches Kloster ein: „Die Stundengebete der Benediktiner geben dem Tag eine Struktur“, sagt die Cellerin. Hier im Geistlichen Zentrum der Evangelischen Landeskirche genieße sie es dagegen, von früh bis spät mal ganz ohne Uhr und „ohne jeden Anspruch“ zu tun, wonach ihr der Sinn stehe. An diesem Tag hat sie eine Radtour ins Blaue gemacht - und dabei ein weiteres Kloster entdeckt. Nun deckt sie im Bursfelder Einzelgästebereich „Oase“ den Abendbrottisch.
Sie wird die Mahlzeit mit Christa Heinemann aus Göttingen einnehmen, die hier zufällig dieselben drei Tage verbringt. Auch die 62-jährige Berufsschullehrerin kommt häufig her, sucht gern den Meditationsraum auf und die romanische Kirche des Klosters, das Benediktiner im elften Jahrhundert gründeten und das nach einer zeitweisen Nutzung als Gutshof zu den Maximen der Mönche zurückfand: Beten, Arbeiten und nicht zuletzt Gastfreundschaft. Wenn im Kloster eigene Kurse stattfinden, bieten die evangelischen Pastoren des vierköpfigen Teams viermal am Tag eine Art modernes Stundengebet an. Bei der abendlichen gemeinsamen Andacht am Altar singt Christa Heinemann mit. „Viel reden“, sagt die Lehrerin aus der Stadt, „will ich nach einem langen Schuljahr hier nicht.“
Nebenan in der Pilgerherberge ist ebenfalls eine Lehrerin zu finden, sie verbringt dort sogar zwei Wochen ihrer Ferien. Gabi Putze und ihr Mann Willy helfen als Ehrenamtliche. „Das Bursfelde-Virus hat uns gepackt“, sagt der 54-Jährige, als Landkreismitarbeiter ansonsten für Waffenrecht zuständig. Seine Frau erzählt, sie sei als Grundschullehrerin „ausgebrannt“ gewesen, habe dann das Kloster entdeckt und die Krise überwunden. In der ehemaligen Scheune weist sie Gästen, die zu Fuß, mit Rad oder Pferd auf dem Pilgerweg Loccum-Volkenroda in Bursfelde Rast machen, ein Bett in einer der Schlafkabinen zu.
Für die stilvoll eingerichtete einfache Herberge ist hauptamtlich Klaas Grensemann zuständig. Das Angebot sei „niederschwelliger“ als die „Oase“ direkt im Kloster, erzählt er. Das Pilgerpublikum sei gemischter: Handwerker wie Krankenschwestern, Männer genauso häufig wie Frauen. Der Pastor bietet auch Seelsorgegespräche an. „Manche sind auf dem Weg, weil sie in einer Krise sind“, hat er erfahren. „Viele hatten keinen Zugang zur Kirche und finden so eine neue Form der Gottesbeziehung.“
Klostergast Ulrike Dünhölter erfreut sich an der Ruhe, während ihr Partner gerade mit dem Rad die Dolomiten überquert. „Ab und zu eine SMS“, verrät sie, sei für sie hier die einzige Ablenkung.
haz 15.8.14 S. 4 – Autorin: Gabriele Schulte