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Sport und Theologie

Sport bedeutet intensives Leben. Darum ist er ein wesentlicher Teil unserer Alltagskultur geworden. Er ist allgegenwärtig in Dörfern und Städten, betrifft Einzelne ebenso wie ganze Gesellschaften, bestimmt Tagesabläufe und Lebensrhythmen. Seiner Wortbedeutung vom lateinischen desportare nach bedeutet Sport „sich zerstreuen, erholen oder vergnügen“. Ihm ist ein spielerisches, zweckfreies Element zu eigen, bei dessen Verlust sich der Sport seines Ursprungs entfremdet. Zugleich betreffen sportliche Erfahrungen die Menschen in ihrer existenziellen Tiefe. Im Wettkampf treten die besten Möglichkeiten des Menschen und ebenso seine tiefsten Grenzen zu Tage, die sportliche Leidenschaft weckt größte Bewunderung ebenso wie tiefe Ablehnung, in sportlichen Ereignissen ist eine Milliarden umfassende Sportgemeinschaft in ihrer Begeisterung verbunden und gleichzeitig der einzelne Athlet ganz auf sich selbst zurück geworfen. Sport ist in der modernen Erlebniskultur einer der emotional am stärksten besetzten Lebensbereiche. Er verspricht Aktiven wie Zuschauern Lebensvollzüge höchster Intensität. In alledem trägt der Sport Attribute des Religiösen an sich. In den Erlebnisvollzügen breiter Massen sind die Stadien zu Kathedralen und die Sieger zu Heiligen geworden. Sport besitzt als Phänomen der Neuzeit eine gesellschaftlich wie individuell überaus bedeutsame Prägekraft. Er stellt Erfahrungsräume zur Verfügung, die das Lebensgefühl prägen und kommuniziert orientierende Gewissheiten. Das Phänomen Sport ist damit im selben Funktionsbereich der Gesellschaft wirksam wie Religionen und Weltanschauungen (vgl. Eilert Herms, Sport, S. 11) und ist deshalb einer Einordnung in bestehende Wertesysteme und kulturelle Deutungszusammenhänge bedürftig.
 
Dem Sport gilt in der Bibel kein eigenes Interesse. Aber das Phänomen ist bekannt und in seiner Wirkkraft wohl auch schon zur damaligen Zeit so hoch geschätzt, dass es als Beispiel und Vergleich herangezogen werden kann. Erwähnung finden die in der Antike geläufigen Disziplinen wie Wettlauf und Faustkampf und die dazu gehörigen sportlichen Fachbegriffe (brabeion, pykteuo). Die athletische Leistung zieht der Apostel Pauls zur Veranschaulichung christlicher Tugenden heran. „Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.“ (1. Kor. 9,24). Die Mühe eines Sportlers wird zur Analogie für den Einsatz, mit dem der Glaubende für das neue Leben in Christus einstehen soll. Selbst das harte Training und die enthaltsame Abstinenz eines Athleten in der Vorbereitungsphase sind bekannt. „Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge.“ (1. Kor. 9,25). Diese Eindeutigkeit in der Lebenshaltung dient der christlichen Gemeinde als Vorbild. Im selben Zusammenhang werden aber auch die Grenzen der Vergleichbarkeit von Sport und Glauben deutlich. „Jene (die Sportler) kasteien sich im Training, „damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen.“ (1 Kor 9,25) So erfährt das Streben nach sportlichen Höchstleistungen und Erfolgen eine negative Wertung. Es ist ein vergängliches Ziel und deshalb ein nutzloses Streben. Es liegt sogar nahe, aus der Perspektive des Apostels im athletischen Einsatz eine Verschwendung der Lebenskräfte zu vermuten. So liegen die Analogien zwischen Sport und Glaube in biblischen Zusammenhängen primär auf der formalen Ebene, wohingegen die inhaltliche Differenz der Lebensbereiche deutlich hervor tritt. Schließlich werden der Wettkampf (agon) und der athletische Wettlauf (dromos) als Bilder für die Herausforderungen des Lebens herangezogen. So wie ein Ringkampf bestanden und ein Rennen zu Ende gebracht wird, hat der Apostel an seinem Glauben festgehalten und ermahnt dazu ebenso seine Adressaten. „Ich habe den guten Wettkampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. (2. Tim. 4,7) In diesem Zusammenhang wird das energische Streben eines Sportlers und sein Kampf gegen eigene Schwäche und äußere Versuchung zum Vorbild der glaubenden Existenz.
 
Sport und Theologie vertreten ein ganzheitliches Menschenbild. Der Mensch ist in der Bibel als körperlich-seelische Einheit “zum Bilde Gottes“ geschaffen (1 Mose 1,27). Seine individuelle Einmaligkeit und unverfügbare Personwürde betrifft das Ganze seine Existenz und nicht nur einen abspaltbaren Aspekt. Friede (Shalom) in biblischer Tradition kann nicht allein in körperlich-sozialer oder seelisch-individueller Hinsicht gelingen, sondern nur im Ausgleich und Einklang der verschiedenen Dimensionen menschlicher Existenz. Ebenso sind die Heilungen Jesu im Neuen Testament auf die Wiederherstellung einer ganzheitlich verstandenen Integrität gerichtet, in der Selbstbeziehung und Gottesbeziehung, Seelenheil und Leibhaftigkeit in eins fallen. Der paulinische Dualismus zwischen „im Geist oder im Fleisch Sein“ bezeichnet unterschiedliche Lebensweisen und ist nicht als Aufspaltung des Menschen zu verstehen. Zwar weist die Entwicklung der abendländisch-christlichen Kultur eindeutig Motive auf, die einen Argwohn gegen die Leibhaftigkeit und eine grundlegende Abwertung des Körperlichen gefördert haben. (vgl. Eugen König, Selbsterkenntnis des Menschen und Erniedrigung des Körpers. in: Körper, Sport und Religion). Als Einspruch gegen solche Einseitigkeit bleibt die christliche Vorstellung einer eschatologischen Erlösung auch des Leiblichen wie der gesamten Kreatürlichkeit bestehen, womit letztlich die Wiederherstellung der geistig-leiblichen Einheit als endgültige Perspektive und finale Schöpfungsbestimmung festgehalten ist.
Während also die christliche Religion vom grundlegenden Verdacht einer körperlosen Seelenlehre freigesprochen werden muss, gilt dies in umgekehrter Weise vom Sport und seiner Verdächtigkeit, einseitig die Leiblichkeit des Menschen zu verherrlichen. Sicher sind Körperkult und Leistungswahn Phänomene, die im Sport ein ideales Terrain finden. Der Fetisch körperlicher Schönheit und Leistungsfähigkeit findet in Dopingskandalen und krankmachenden Ertüchtigungspraktiken seinen eklatantesten Ausdruck. Dennoch sind damit eher die Verkehrungen beschrieben, während dem sportlichen Ideal gerade die gesunde Verbindung von Körper und Geist zu eigen ist. „Mens sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Juvenal, 60–127 n. Chr.) ist von der Antike her der Kern sportlichen Selbstverständnisses.
 
Sport ist Selbsterfahrung. Im Sport eröffnen sich Erfahrungsräume für wesentliche Lebensdimensionen, unter anderem Wahrnehmung der eigenen Vitalitat, Persönlichkeitsbildung und soziales Miteinander. Sport ist eine Betätigung, in der Menschen von den natürlichen Bedingungen des eigenen Lebens und des eigenen Körpers Gebrauch machen. Wer Sport treibt, macht zunächst Erfahrungen mit sich selbst und erlebt Möglichkeiten wie Grenzen unmittelbar. Zudem können Training, Entsagung, Zielstrebigkeit, Konzentration und Kontinuität wichtige Lernfelder beim Aufbau einer Persönlichkeit sein, die in der Lage ist, auch andere Bereiche des Lebens verantwortungsvoll zu gestalten. Über die Selbsterfahrung hinaus werden in der vergleichenden wie solidarischen Begegnung Fähigkeiten zur Interaktion ausgebildet und soziale Kompetenzen erworben, die gleichermaßen dem Individuum wie den sozialen Systemen, in denen es sich bewegt, zugute kommen.
 
Mit dem Sport selbst sind spezifische Inhalte und ein Selbstverständnis verbunden, das die Ausführenden bejahen und in meist stillschweigender Übereinkunft anerkennen. Zu diesen inneren Motiven des Sports gehört grundlegend die positive Wahrnehmung der Leibhaftigkeit. Der körperliche Handlungsspielraum des Menschen bildet die Grundlage jeder sportlichen Betätigung und erfährt durch diese eine eindeutige Wertschätzung. Sportliche Betätigung kann allein ausgeübt werden. Bejaht wird aber im Sport grundlegend der Charakter des Wettkampfes und die Anerkenntnis überragender Leistungen. Die Tüchtigkeit und der Fleiß, die mit der Leistung zugleich Anerkennung finden, gehen freilich einher mit Momenten des glückhaften Gelingens oder auch der unverfügbaren Zufälligkeit. Dies begründet die Solidarität der Agierenden, ebenso wie ihm stets das Element der Begegnung und ein sozialer Charakter zu eigen ist. Ein Regelwerk dient den Ausführenden als Maßstab für das Gelingen ihrer Begegnung.
 
Dennoch lebt der Sport von seiner Neutralität. Inhalt und Eigensinn des Sports dürfen nicht dahingehend verstanden werden, dass dem Sport selbst schon eine ethisch orientierende Kraft zuzusprechen ist. Das spielerische Moment gehört zu seinem inneren Wesen. Er ist für sich genommen zweckfrei und weltanschaulich offen. Menschen betreiben zwar den Sport oder begeistern sich dafür, sofern die sportliche Betätigung in ihrem Deutungssystem als wertvoll erscheint.  Der Grund für diese Wertschätzung liegt aber in der Lebensüberzeugung der jeweiligen Menschen und nicht im Sport selbst. Aufgrund solcher weltanschaulichen Neutralität ist der Sport wie kaum ein anderes kommunikatives Medium in der Lage, Menschen mit unterschiedlichsten Wertesystemen zu verbinden. Alle, die seinen Eigensinn bejahen, können sich in der sportlichen  Betätigung begegnen, ohne über ihre jeweiligen Wertesysteme Einigkeit hergestellt zu haben. Unterschiede in kultureller, religiöser, milieu- oder herkunftsspezifischer Hinsicht sind im Sport ohne Belang. Dies ist wesentlich für seine kommunikative und integrierende Kraft.
 
Sport ist ein Kulturphänomen. Erst seit den fünfziger Jahren hat die Kirche begonnen, ihr distanziertes Verhältnis zum Sport zu überwinden. Sport wurde zunehmend als Teil der Kultur begriffen und begann damit, aus einer Nische ins Zentrum des öffentlichen Ansehens zu rücken. Heute werden mit dem Sport immer mehr Aktivitäten bezeichnet, die mit klassischen Sportarten nichts mehr gemeinsam haben. Der Sport ist nicht mehr als einzelnes Phänomen in den Blick zu bekommen, sondern durchzieht die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Sport wird Lebenshaltung und lebenslanger Begleiter. Er beginnt im Babyalter und endet erst mit dem Leben selbst. Er ist längst Teil der Alltagskultur geworden und bestimmt weithin Einstellungen und Wertigkeiten. Insbesondere bei Großveranstaltungen rückt er als dominierendes mediales Phänomen in den Mittelpunkt des Interesses. Sport hat in unübersehbarer Weise an Aufmerksamkeit gewonnen und ist damit für alle kulturgestaltenden Kräfte zum einflussreichen Partner geworden.
 
Sport findet in jedem sozialen Milieu statt. Wenn auch einzelne Sportarten in spezifischen gesellschaftlichen Milieus beheimatet sind, überwindet der Sport als Ganzes doch die Grenzen sozialer Zugehörigkeiten. Er ist gleichermaßen ein Armuts- wie Wohlstandsphänomen. Er wird in den Vorstädten der Metropolen ebenso ausgeübt wie in den Villen der Privilegierten. Der Durst nach Erfolg treibt als innerer Motor des Sports Arme wie Reiche zu Höchstleistungen. Wohl werden manche Sportarten als Nischen gepflegt, in denen die Ausübenden unter sich bleiben. Überwiegend werden aber auch ehemalige Elite-Sportarten für alle Interessierten zugänglich. Oft gehen auch neue Trendsportarten zunächst mit klischeehaften Attributen und spezifischem Rollenverhalten einher und werden schließlich doch dem Ganzen des Sportgeschehens einverleibt. Diese besondere Möglichkeit, soziale Barrieren zu überwinden, liegt darin begründet, dass in der sportlichen Leistung eine Konzentration auf elementare Vollzüge in leiblicher Unmittelbarkeit geschieht, vor der soziale Ungleichgewichte eine Relativierung erfahren. Sport leistet einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu gerechterer Teilhabe an den Lebenschancen für alle.
 
Sport schafft Integration. Während die Entwicklungen zwischen Kirche und Sport insofern divergierende Tendenzen zeigen, als die Kirchen Mitglieder verlieren, während der Sport seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in großer Zahl Aktive hinzugewonnen hat, ist in inhaltlicher Hinsicht eine Konvergenz von Kirche und Sport erkennbar und verdient eine gestaltende Aufmerksamkeit. Seine wertanschauliche Neutralität macht den Sport anfällig für politische Vereinnahmungen, bietet aber andererseits die Möglichkeit zur Praktizierung weltanschaulicher Toleranz und ist ein unschätzbares Lernfeld für integratives Handeln sowohl Einzelner wie auch ganzer Gesellschaftssysteme. Im Sport begegnen sich die Akteure idealerweise mit Respekt, der über die bloße Wertschätzung der Leistung hinausgeht. Der Respekt gilt dem Menschen auch in seiner Niederlage, seiner Individualiät und gerade auch seiner Andersartigkeit. In der Stärkung solcher respektvollen Toleranz können Kirchen und Sport zusammen wirken, gerade auch im gegenseitigen Einsprechen des Idealen gegenüber dem Vorfindlichen. Die Kirche wird im Sport übermäßige und einseitige Leistungsorientierungen anzeigen, sich aber andererseits positive Zugänge eröffnen lassen zu Wettkampf und Erfolg und sich zur theologischen Reflexion durch den Sport inspirieren lassen.
 
Im Selbstverständnis des Sports kann Fairness als das ethische Proprium gelten. Das Fairness-Gebot gilt im Sport nahezu unbedingt. Mit der Fairness steht und fällt die Glaubwürdigkeit des Sports, für den Menschen und seine gesellschaftlichen Bezüge etwas Gutes und Dienliches darzustellen. Randphänomene des Sports wie beispielsweise subkulturelle Kampfdisziplinen, die dem Ideal der Fairness bewusst entgegenstehen und Verletzungen, Demütigungen und Schädigungen in Kauf nehmen, können im eigentlichen Sinn nicht dem Sport zugerechnet werden, sondern gelten eher als seine Perversion. Fairness ist im Sport mehr als Regelkonformität. Sie umfasst als Sammelbegriff Aspekte der Anständigkeit, Ehrenhaftigkeit, Solidarität, Menschlichkeit und bildet einen mehr empfundenen als reflektierten Überbau über der Mehrzahl aller sportlichen Aktivitäten. Freilich muss man sagen: Dieser vielbeschworene Sportethos liegt weniger im Sport selbst begründet als in den Einstellungen und Verhaltensweisen der bestimmenden Akteure. An ihnen und der durch sie geprägten Übereinkunft entscheidet sich, was echter Sport ist und was nicht. Insofern ist er auch beeinflussbar und etwa für national-politische oder ökonomische Einflussnahme anfällig. Der Sport muss in der Lage sein, eigene Kräfte der Regulation aus sich heraus freizusetzen und mag sich dabei anderer gesellschaftlicher Kräfte bedienen, die einem menschendienlichen Ideal verpflichtet sind. Gemeinsam mit den Kirchen wird das Ethos der Fairness als Friedensarbeit aufgegriffen. Sportlich faires Verhalten wird hier in pädagogischer Absicht als Verhaltensmuster für gelingende mitmenschliche Gemeinschaft in individuellen wie globalen Zusammenhängen propagiert und dabei die Nähe zu christlichen Werten herausgestellt.
 
Sport hilft der Gesundheit. Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Vitalität sind begrenzte Güter, von deren möglichst langem und intensivem Genuss die Lebensqualität abhängt. Sport dient dieser Lebensqualität. Jeder Mensch nimmt mit seiner Sorge um die Gesundheit auch ein Verhältnis zum Sport ein, auch wenn er ihn nicht ausübt (vgl. Dietrich Rösler, Gesundheit, Verantwortung und Sport, in: Ommo Grupe / Wolfgang Huber (Hg.) Zwischen Kirchturm und Arena, S. 178 ff). Sport und gesunde Lebensweise werden zum Gradmesser der Verantwortlichkeit des Menschen für seine begrenzten leiblichen Ressourcen. Theologie und Kirche werden diesen verantwortlichen Umgang mit der Leiblichkeit unterstützen, insofern das Wohl des Menschen nur ganzheitlich gedacht und deshalb nicht ohne seine körperlichen Dimensionen beschrieben werden kann. Andererseits werden sie einer Vergötzung von Gesundheit nicht beipflichten können. Gesundheit ist viel, aber nicht alles und bestimmt nicht über den Wert des Lebens. Dieser Einspruch ist notwendig, weil die Verheißung des christlichen Glaubens in gleicher Weise dem kräftigen wie dem beeinträchtigten und versehrten Leben gilt. Die Gebrochenheit der Existenz in seinen vielfachen Dimensionen gilt ebenso allen Menschen wie die noch ausstehende Vollendung, zu der wir im Glauben unterwegs sind.
 
Dem Einzelnen ist ein hohes Maß an Verantwortung zugemutet, durch sportliche Betätigung das höchstmögliche Maß an Lebensqualität selbst sicherzustellen. Ebenso wird an die Verantwortung gegenüber der Solidargemeinschaft erinnert. Damit besteht bereits ein nicht unerheblicher Legitimationsdruck. Sport treiben gilt als gut, Unsportlichkeit als schlecht. Leicht überträgt sich das auf diejenigen, die entweder Sport treiben oder sich dessen enthalten. Wer krank oder gebrechlich wird, gerät unter Generalverdacht, seiner Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein. Aus christlicher Perspektive ist der Sport als mögliches Mittel verantwortlicher Lebensgestaltung gutzuheißen. Als gesellschaftlich auferlegte Pflicht oder selbstbetriebener Kult gerät er zur Abgötterei, die den Menschen in seiner Mündigkeit beschneidet und die Freiwilligkeit seiner Entscheidungen einschränkt (vgl. Wolfgang Schlicht, Artikel Gesundheit, in: Ommo Grupe / Dietmah Mieth (Hg.) Lexikon der Ethik im Sport, S. 216 f).
 
Der Mensch bedarf körperlicher und geistiger Erholung. Diesem Zweck dient nicht nur der Schlaf, sondern auch jede alltagsunterbrechende, entspannende Tätigkeit. Diese kann durchaus mit Konzentration und Anstrengung verbunden sein, wenn sie nicht mit den sonstigen Tätigkeiten der Daseinsbewältigung identifiziert wird, sondern sich davon wohltuend unterscheidet. Sport dient in diesem Sinn dem Aufbau und der Wiederherstellung der Lebenskräfte. Sein kreativer und spielerischer Charakter verbürgt die aufbauende Wirkung. Daher können Leistungssport und professionell betriebener Sport unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr gefasst werden. Entspannung und Zuführung lebensdienlicher Energien ist ihnen nicht mehr zu eigen.
 
Sport ist anfällig für religiöse Überhöhung. Der Sport insgesamt und der Fußball insbesondere kennt eine Vielzahl ritueller Praktiken, die bisweilen quasi-religiösen Charakter annehmen (Joachim von Soosten, Kraftfelder des Begehrens, in: Peter Noss (Hg.), fußball ver-rückt, S. 24ff). Fußball hat seine heiligen Zeiten, kennt Wallfahrten und Tempel. Die Anhänger wiederholen liturgische Gesänge, kaufen Ikonen und bekennen sich in Worten und Zeichen. Zugleich sind sie Eingeweihte in internes Wissen und können die Ereignisse, die sich auf dem Rasen vollziehen, vollmächtig deuten. Sie pflegen eine eigene Sprache und vergewissern sich ihrer Zugehörigkeit durch Reliquien, die sie am Hausaltar verehren. Freilich ist der Sport keine Religion und hat es auch nie beansprucht. Wohl kann er aber als Religionsersatz dienen und in Lustgewinn und Unterhaltung durchaus zur Kontingenzbewältigung beitragen, indem er zumindest für den Moment über die Widrigkeiten des Daseins hinweg hilft. Erlösungsbotschaften sind aber nicht angelegt, und wo sie in sich selbst erfüllenden Ritualen aus dem Sportereignis extrahiert werden sollen, ist der Sport selbst gut beraten, auf seine eigenen Grenzen aufmerksam zu machen. In ehrlicher Weise geschieht dies, wenn Sportfunktionäre vor den letzten Fragen menschlicher Existenz daran erinnern: „Fußball darf nicht alles sein... Denkt nicht nur an den Schein. Denkt auch an das, was im Menschen ist, an Zweifel und an Schwächen. Fußball ist nicht alles.“ (DFB-Präsident Theo Zwanziger bei der Trauerfeier für Robert Enke am 15. November 2009 in Hannover). Gerade in Anerkenntnis der Grenzen der jeweiligen Deutungskompetenz können Kirchen und Sport zu Partnern werden und den Beteiligten in Erfolg wie Niederlage hilfreiche Begleitung zusagen.
 
im Sport wird Politik betrieben. Wenn man über Ethik im Sport nachdenkt, betrifft dies nicht nur die Ausübenden, sondern ebenso die Organisationen, Funktionäre, Berichterstatter und schließlich auch der Rezipienten, die mit ihrem beurteilenden Verhalten Entwicklungen im Bereich des Sports fördern oder hemmen. Der Betrieb des sportlichen Geschehens ist keineswegs als Selbstzweck zu charakterisieren, sondern dem gesellschaftlichen Leistungsbereich der Bildung zuzuordnen (vgl. Eilert Herms, Sport, S. 112) und ist wie kaum ein anderer Bereich in de Lage, ein inhaltlich zwar unbestimmtes, dafür aber überwiegend konsensfähiges Wertesystem darzustellen. Nur so viel ist über diesen Grundkonsens auszumachen, dass der Mensch darin im Mittelpunkt steht mit den Möglichkeiten seiner Leistungskraft und ebenso deren Begrenztheit. Gleichzeitig steht er in geregelter Kommunikation und Interaktion, die in toleranter und respektvoller Weise zu gestalten sind und darin ihre öffentliche Wirkung entfalten. Dieser besonderen Wirksamkeit haben sich insbesondere Akteure und Funktionäre bewusst zu sein, um nicht im Sportgeschehen die verbindenden Bedeutungsgehalte einseitig vereinnahmenden Tendenzen auszusetzen.
 
Sport ist mit Leistung untrennbar verbunden. Dies gilt zunächst für den Breiten- , Spitzen-, Individual- und Mannschaftssport, nur dass jeweils die angelegten Maßstäbe dem vorfindlichen Rahmen angepasst werden müssen. Im einen Fall sind die Leistungsziele durch das Wettkampfgeschehen bestimmt, im anderen Fall selbst gesetzt und nicht an der eigentlichen Leistung, sondern an Fitness-, Schönheits,- Gesundheits- oder weiteren dem Sport angegliederten Aspekten orientiert. Das Erbringen von Leistung erfährt im Sport eine grundlegende Wertschätzung, steht aber auch in Gefahr, andere dem Sport inhärente Prinzipen zu dominieren und absolute Geltung einzunehmen. Im Spitzensport kann eine Überhöhung des Leistungsgedankens zu gesundheitsschädigenden Kasteiungen führen, im Breitensport zu Selektionsverfahren, in denen die Leistungsträger privilegiert und die anderen mit Aufmerksamkeitsverlust behandelt werden. Im öffentlichen Sportgeschehen wird nahezu ausschließlich der Leistungsaspekt bewertet und erfährt immense Belohnung durch Aufmerksamkeit, Geld und mediales Interesse. Nichterbringung von Leistung bestraft die beobachtende Sportszene ebenso intensiv mit Desinteresse. Der Focus liegt nur kurzfristig und einseitig auf den Leistungsträgern, und zwar nur, insofern sie momentan Erbringer von Erfolgen sind. Die darin sich ausdrückende Instrumentalisierung ist unübersehbar. Der Athlet stillt ein weithin vorhandenes Bedürfnis, ist aber selbst austauschbar.
 
Eng mit einer Ideologisierung des Leistungsgedankens sind Doping und Manipulation verbunden. Mit solchen Vorkommnissen ist der Eigensinn des Sports selbst verletzt. Folgerichtig gehen Glaubwürdigkeit und öffentliche Akzeptanz schlagartig verloren, wenn durch Missbrauch die stillschweigende Übereinkunft über diesen Eigensinn einseitig verletzt worden ist. Kontrollen können hier nur die äußere Gestalt des Sports schützen, seine immanenten Attribute bedürfen ständig der aktualisierenden Akzeptanz durch die Sportler selbst, indem diese sie repräsentieren und sich des Vertrauens der Öffentlichkeit würdig erweisen. Eine Freigabe leistungsfördernder Mittel würde zwar die Chancengleichheit unter Sportlern in rechtlicher Hinsicht sichern, aber damit zugleich die Beanspruchung eines Eigensinns und einer immanenten Werthaftigkeit für den Bereich des Spitzensports aufgeben.
 
Sport vermittelt Moral. Unterschwellig ist neben dem Regelwerk, das die Fairness als oberstes ethisches Prinzip verbürgt, mitunter ein paralleles Verhaltensparadigma erkennbar, welches das primäre Reglement untergräbt und damit auch das ethische Prinzip aushöhlt. Ein Foul wird geahndet. Damit ist dem äußeren Gesetz Genüge getan. Aber es gilt deshalb noch lange nicht als Sünde, sondern ist als „Notbremse“ ein adäquates Mittel der Wahl und wird zur rechten Zeit sogar als notwendig erachtet. Die allgegenwärtige „Schwalbe“ ist im Fußball der stereotype Versuch, den Sachverhalt umzuinterpretieren und sich damit einen unlauteren Vorteil zu verschaffen. Die „Mauer“ näher als erlaubt zu postieren, ist im sublimen Regelwerk ebenso fest vorgesehen wie beim Einwurf ein paar Meter gut zu machen. Diese zweite Moral ist allein dem Erfolg verpflichtet, der im Bedarfsfall auch die unerlaubten Mittel heiligt. Die pädagogische Wirkung ist zweifelhaft, vermittelt sie doch als erste Botschaft: Du darfst dich nicht erwischen lassen. Falsch ist nicht, was der Regel widerspricht, sondern was der Schiedsrichter nicht sieht. Listigkeit und Bereitschaft zu unerlaubter Härte sind damit bereits im System angelegt und entfalten in ihrer persönlichkeitsprägenden Wirkung möglicherweise eine größere Kraft als Fairness, Respekt und Solidariät. Vorbilder des Sports stehen dann nicht mehr allein für ihre Leistung, sondern zugleich für Doppelbödigkeit und Geschick im Umgehen von Richtlinien - eine Alltagstugend von sicher zweifelhafter Reputation.
 
Sport ist im Bereich der Spitzenleistungen ohne Kommerzialisierung nicht mehr denkbar. Die Ökonomisierung beginnt früh und hat ihre Ursache darin, dass jede Leistung in wirtschaftsorientierten Systemen auch als Marktwert beschreibbar ist. Problematisch ist nicht diese Tatsache an sich, sondern dass die sportlichen Leistungen damit einer Indienstnahme für Zwecke unterworfen werden, die nicht primär die des Sports sind (vgl. Ommo Grupe, Artikel Leistung, in: O. Grupe / D. Mieth (Hg.), Lexikon der Ethik im Sport, S. 335). Weder der Inszenierung des Sporterlebnisses noch dem Athleten selbst muss dies zum Schaden sein. Aber Gewinnmaximierungsinteressen werden möglicherweise mit dem integrativen Anspruch des Sports kollidieren. Die Zurverfügungstellung von Idealbildern wird verfremdet, wenn nicht mehr Spitzenleistung, sondern Spitzenverdienst im Vordergrund steht. Insgesamt wird der Sport durch ökonomische Interessen einer intensiven Beeinflussung ausgesetzt, die in kritischer Distanz genutzt und zugleich verantwortlich gestaltet werden muss.
 
Gewalt bei sportlichen Wettkämpfen sind kein neues Phänomen. Sowohl auf dem Spielfeld als auch den Tribünen sind gewaltsame Entgleisungen lange bekannt. Das Sportereignis wird von manchen Gruppen wiederkehrend und in nahezu ritueller Weise als begrenzter Freiraum genutzt, in dem ein sonst im Alltag unterdrückter Impuls ausgelebt werden kann. Dieses Phänomen ist zumeist mit spezifischen Sportereignissen, überwiegend Fußballspielen verbunden, was seinen Grund darin hat, dass ein gewisses Maß an Härte und Bereitschaft zur Regelverletzung in den betreffenden Sportarten selbst angelegt zu sein scheint (vgl. Thilo Engelhardt, Religiöse Spuren im Fußballhooliganismus, in: H.G. Ulrichs / T. Engelhardt / G. Treutlein (Hg.), Körper, Sport, Religion, S. 133.137). Die kultische Aufladung des Ereignisses trägt dazu bei, das Zuschauen mit heiligem Ernst zu betreiben, der jede verbale oder zeichenhafte Herabsetzung der favorisierten Mannschaft als Sakrileg wertet. Erschreckend sind die teilweise exzesshaften Dimensionen und planvollen Gewaltinszenierungen, die sich zeitlich und räumlich weit über das Sportereignis hinaus ausdehnen. Der quasi-religiöse Enthusiasmus, der in den Stadien aus letztlich ökonomischen Interessen durchaus gepflegt wird, lebt hier seine Schattenseiten aus. Hilfreich wäre eine Sportkultur, in welcher die Identifikation in nüchterneren Formen artikuliert werden könnte.
 
Sport kann leicht zum Träger von Ideologie werden, um so mehr, je höher das mediale Interesse und die öffentliche Resonanz ist. Er wird zum Medium von Bedeutungsgehalten, die ihm von den Ausführenden und den Rezipienten beigemessen werden. Diese sind aber abhängig von der Inszenierung des Sports und seiner Darstellung in den Medien (vgl. Herms, Ideologisierung, S. 72). Sport ist als Massenphänomen in sich bereits politisch, insofern er in einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit als Träger von Bedeutungsgehalten wahrgenommen wird. Diese sind unterschiedlichen Beeinflussungen ausgesetzt. So sind Olympische Spiele beispielsweise immer schon ein prominenter Ort gewesen, an dem in subtiler oder offensichtlicher Weise nationale und ideologische Selbstdarstellung betrieben wurde. An die Interpretationskompetenz der Zuschauer wird insofern bei sportlichen Massenereignissen eine hohe Anforderung gestellt, als diese eine gewisse Distanz wahren müssen, während zugleich das sportliche Ereignis eine fesselnde Wirkung ausübt.
 
Sport bedeutet Körperkultur, kann aber auch zum Körperkult werden. Die eigene Körperlichkeit wird lustvoll und mit einem unmittelbaren Zugang zum eigenen Leistungsvermögen erlebt. Wer Sport treibt, ist der Natur und den elementaren Möglichkeiten und Grenzen des Kreatürlichen in direkter Weise ausgesetzt. Damit hebt sich sportliche Betätigung wohltuend von den oft vermittelten und indirekten Erlebensdimensionen beruflicher Zusammenhänge ab. Von dieser positiven Wahrnehmung  ist eine ideologische Aufladung der Körperlichkeit zu unterscheiden, die zunehmend zu bemerken ist. Schönheit, Jugendlichkeit, Agilität sind Ansprüche von sinnstiftender Bedeutung geworden, denen in unzähligen Produkten und Dienstleistungen entsprochen wird. Körperkultur gerät in Gefahr, zum Körperkult zu mutieren. Bisweilen gerät die Hochschätzung der Leiblichkeit zur diesseitigen Ersatzreligion, der in Kaufverhalten und Lebensorientierung mit heiligen Eifer gehuldigt wird. Sportliche Betätigung wird darin zum Bekenntnisakt und der Leib zum Ort der Selbsterlösung. Ein Glauben an die Machbarkeit des starken und jungen Körpers kann insofern nur unmenschlich wirken, als er keine Antworten auf menschliche Schwäche und Begrenztheit geben kann. In einem Kult um die Körperlichkeit muss sich der Mensch zugleich mit dem Schwinden seiner Kraft und Schönheit auch in seinem Personsein als defizitär erleben. Diesem Bild ist aus christlicher Perspektive die bleibende Würde entgegenzuhalten, die dem Menschen als vorausgehender Zuspruch und jenseits aller Machbarkeit gilt.
 
 
Zwischen Kirche und Sport herrscht eine Athmosphäre der gegenseiten Anerkennung und Achtung. Sie bilden zunächst gänzlich artfremde Disziplinen ab. Währen Sport primär als Freizeitphänomen zu Tage tritt, fragt Religion nach Sinn und Ziel des Daseins und versucht Antwort auf letzte Fragen zu geben, die den Menschen in seiner gesamten Existenz betreffen. Diese Anerkenntnis der grundlegenden Differenz befreit zu einer Begegnung auf Augenhöhe. Wer Sport treibt, kann immer noch einen Glauben haben. Und wer sich als Christ versteht, kann sich zugleich für den Sport begeistern. Vertreter von Kirche und Sport begegnen sich primär nicht als Kritiker. Sie fragen vielmehr nach den Schnittmengen und suchen die Gemeinsamkeiten, die sich zu einer Koalition gestalten lassen. Aufgabe der Kirche kann es nicht sein, dem Sport besserwisserisch oder bevormundend gegenübertreten zu wollen. Sie kann nicht eine Deutungshoheit beanspruchen, die vom Sport als ideeller Überbau integriert werden müsste. Aber sie ist in der Lage, Perspektiven ins Gespräch zu bringen, die über die eigene Logik des Sportgeschehens hinausgehen und die innere Dynamik des Sports in eine klärende Gesamtperspektive einordnen.
 
Sport und Kirche erkennen gemeinsam ihre Bildungsverantwortung. Sie sind sich ihrer gesellschaftlich wie individuell prägenden Wirksamkeit bewusst und gehen eine Allianz auf Augenhöhe ein, um zentrale menschliche Werte zu vertreten und soziale Tugenden in der Gesellschaft zu stärken. Die differenzierte Allianz zwischen Kirche und Sport kann sich eine ganzheitliche Sicht auf die menschlichen Lebensbezüge zu eigen machen, in der leibliche wie seelische und individuelle wie soziale Aspekte aufgenommen sind die auf deren heilsame Gestaltung ausgerichtet ist. Unter der Zielsetzung, dem Menschen und seinen Lebensbezügen zu dienen, ist auch danach zu fragen, in welchen sportlichen Zusammenhängen das Wünschbare dem Möglichen heilsame Grenzen setzen soll.
 
Sportvereine und Kirchen beanspruchen beide den Sonntag und treffen deshalb regelmäßig mit ihren Interessen aufeinander. Als Freizeitanbieter wahrgenommen, beanspruchen sie dieselben begrenzten Zeiträume, die dem Alltäglichen enthoben sind und der Rekreation dienen. Dem Sinn des Sonntags, eine den Alltag wohltuend kontrastierende Zeit zu sichern, steht sportliche Betätigung im Grundsatz keineswegs entgegen. Es ist deshalb davor zu warnen, hier einen Konflikt heraufzubeschwören, der insbesondere Kinder und Jugendliche zur alternativen Abwägung zwischen Gottesdienst und Sportveranstaltung zwingt. Gegenseitige Rücksichtnahme ist möglich, wenn eine gelingende Kommunikationsebene existiert. Die Kirchen werden zunehmend den Sport als Partner und Ausrichter sinnvoller Freizeitangebote wertschätzen. Zugleich werden sie nachdrücklich darum bitten, die Gottesdienstzeiten als Gelegenheiten der inneren Erneuerung zu respektieren. Einem ganzheitlichen Bild des Menschen in seiner leiblich-seelischen Verfasstheit würde damit Rechnung getragen. Dennoch wird es auch bei bestem Bemühen zu Überschneidungen kommen, die in Gelassenheit und gegenseitigem Respekt bewertet und bearbeitet werden müssen.
 
Sportliche Großereignisse bieten Raum für kirchliche Präsenz. Bedeutende Wettkämpfe fordern die Athleten auf höchst intensive Weise. Der eigene Anspruch, die antrainierte Leistungsfähigkeit auf den Punkt abrufen zu können, bündelt alle Energien auf einen einzigen entscheidenden Moment hin, der dadurch im Erleben des Sportlers eine nahezu unbegrenzte Bedeutungsfülle erhält. Erfolg und Scheitern hängen von Hundertstel Sekunden ab. Erfolg oder Misslingen gelten nicht nur dem Moment, sondern zugleich der gesamten Trainings-, ja bisweilen Lebensleistung. Zudem sind die Athleten einer medialen Öffentlichkeit ausgesetzt, die den Erwartungsdruck zusätzlich erhöht. Die Bereitstellung geschützter Räume, die Ermöglichung unbeobachteter Begegnung und die Darstellung eines Anerkanntseins jenseits aller Leistungen mögen wohltuend wirken. Gottesdienstliche Formen werden überwiegend am Rand sportlicher Ereignisse möglich sein, bieten aber dennoch einen willkommenen Ausdrucksraum für die vielfältigen erhebenden wie bedrängenden Emotionen und bringen mit ihrer Präsenz eine Dimension ins Spiel, die alle Leistungs- und Erfolgsorientierung um eine heilsame Perspektive ergänzt.
 
Eine Stadionkapelle, wie sie mittlerweile in verschiedenen Städten zu finden ist, ist ein hervorstechender Ausdruck der lebendigen Partnerschaft zwischen Kirche und Sport. Die Kapelle stellt die Präsenz einer über das sportliche Geschehen hinausgehenden Dimension sichtbar dar. Sie hat im Stadion keine kontinuierliche Gemeinde, sondern versammelt diese nur auf Zeit und aus bestimmtem Anlass. Sie ist im Rahmen und für die Dauer des Ereignisses ein Ort der Besinnung und Begegnung. Zu besonderen Gelegenheiten kann aber auch das Stadion selbst zum Gottesdienstort werden. Eine Trauerfeier im Stadion, wie 2009 zum Tod Robert Enkes in Hannover geschehen, bleibt aber eine Grenzsituation, denn der Sport selbst kann von seinem Eigensinn her keine Deutungskompetenz für Leben und Tod beanspruchen. Ein Zusammenwirken legt sich gerade in solchen extremen Anlässen nahe. Es mag unter Umständen im Stadion seinen Ort haben, grundsätzlich ist wohl aber die Andersartigkeit eines liturgischen Raumes eher geeignet, die Empfindungen von Schrecken und Trauer in eine heilsame, transzendierende Weite zu führen und damit zugleich die Integration des Geschehens wie auch eine Ablösung davon zu ermöglichen.
 
Eine bemerkenswerte Tradition besitzt mittlerweile der Arbeitskreis Kirche und Sport, der 1964 in Wahrnehmung des gesellschaftsdiakonischen Auftrags der Kirche gegründet wurde (vgl. Rüdiger Schloz, Zwischen „Unverhältnis“ und Partnerschaft, und: Klaus-Peter Weinhold, Kirche und Sport in der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: Ommo Grupe / Wolfgang Huber (Hg.), Zwischen Kirchturm und Arena, S. 53 ff; 72 ff). Seitdem hat die Partnerschaft zwischen der evangelischen Kirche in Deutschland und dem Deutschen Sportbund feste Konturen gewonnen. In regelmäßigen Tagungen und Begegnungen werden aktuelle Fragestellungen aufgegriffen und Positionen erarbeitet. Viele Begegnungen sind kirchlicherseits ökumenisch angelegt. Wesentlich war die gemeinsame Erklärung „Sport und christliches Ethos“ der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD von 1990. Die regelmäßigen Arbeitszusammenhänge basieren auf intensiven verbandlichen Vernetzungen und gipfeln in Spitzengesprächen, in denen die Standpunkte der Partnerorganisationen zu aktuellen Themen der sportlichen und gesellschaftlichen Entwicklung dargestellt werden. Der Arbeitskreis Kirche und Sport der EKD versammelt die Beauftragten der Landeskirchen sowie weiterer assoziierter Partner und fördert Begegnungen zwischen Kirche und Sport an der Basis.
 
In der Kirche wird zunehmend der Sport für die Gemeindearbeit entdeckt. Gleichzeitig werden Kooperationsmöglichkeiten mit Sportvereinen intensiviert. Sport in der Kirchengemeinde hilft, Milieuverengungen zu überwinden, schafft neue Kontaktflächen und wird zunehmend als Aspekt eines gemeinwesenorientierten Gemeindeaufbaus begriffen. Sport verhilft der Kirche dazu, eine einseitige Orientierung auf die Innerlichkeit aufzubrechen und das Menschsein in seiner ganzen Kreatürlichkeit wahrzunehmen. In der Religionspädagogik werden sportliche Tugenden zu Verstehenshilfen für grundlegende ethische Orientierungen. Zugleich werden im Sport nicht nur die Potentiale, sondern auch die Missbräuchlichkeiten und Grenzen des Menschenmöglichen sichtbar und bietet Ansatzpunkte, nach dem Mehrwert des Daseins zu fragen. Kirchengemeinden können sich mit Sportvereinen um ehrliche Partnerschaft bemühen und beiderseitig  Gewinn aus der Begegnung ziehen.
 
 
Literatur
EKD-Texte 32: Sport und Christliches Ethos, 1990.
Grupe, O. / Mieth, D.: Lexikon der Ethik im Sport, 1998.
Herms, E.: Sport. Partner der Kirche und Thema der Theologie, 1993.
Sternberg, T.: Sport mit Leib und Seele, 1993.
Grupe, O. / Huber, W. (Hg.): Zwischen Kirchturm und Arena, 2000
Ulrichs, H.-G. / Engelhardt, T. / Treutlein, G. (Hg.), Körper, Sport und Religion, 2003
Noss, P. (Hg.): fußball ver-rückt: Gefühl, Vernunft und Religion im Fußball, 2004